Machtspiel mit globalen Folgen
Lange galt freier Welthandel als Motor für die Globalisierung und die Förderung des Wohlstands. Doch immer häufiger werden Handelsbeziehungen als geopolitisches Druckmittel genutzt. Strategische Handelsbündnisse, Exportbeschränkungen und Zölle haben zunehmend politische Motive. Das Beispiel der Trump-Regierung mit ihrem Konzept der «reziproken Zölle» zeigt: Handel wird nicht mehr allein durch ökonomische Effizienz bestimmt, sondern durch die Interessen der Grossmächte.
Die aktuelle Weltlage zeigt: Handelsbeziehungen stehen heute für Konkurrenz statt Kooperation. Strafzölle, Vergeltungsmassnahmen und gezielte Exportkontrollen sind keine Ausnahmen mehr, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Konflikts. Handelskonflikte – etwa zwischen den USA und China – verdeutlichen, wie leicht wirtschaftliche Verflechtungen zur Waffe werden können. Die Auswirkungen dieses Machtspiels machen auch vor Europa, der Schweiz und anderen Staaten nicht halt.
Warum lohnt sich Welthandel eigentlich?
In einer Zeit wachsender Handelskonflikte und protektionistischer Tendenzen drängt sich eine grundlegende Frage auf: Warum handeln Länder überhaupt miteinander? Wäre es nicht einfacher, möglichst alles selbst zu produzieren? Die ökonomische Antwort darauf liefert ein Klassiker der Wirtschaftstheorie: das Prinzip des komparativen Vorteils, formuliert von David Ricardo im Jahr 1817.
Seine zentrale Erkenntnis ist verblüffend einfach und damals gleichzeitig revolutionär: Selbst wenn ein Land jedes Gut effizienter herstellen kann als ein anderes, lohnt sich Handel, solange die relativen Produktionskosten unterschiedlich sind. Entscheidend ist also nicht, wer absolut günstiger produziert, sondern wer im Vergleich zum anderen Gut weniger verzichten muss.
Ein anschauliches Beispiel illustriert dies: Land A kann 4 Einheiten Wein oder 10 Einheiten Brot produzieren, während Land B 2 Einheiten Wein oder 2 Einheiten Brot produziert. Obwohl Land A insgesamt produktiver ist, hat es beim Brot grossen Vorteil, während Land B Wein relativ günstiger herstellen kann.
Wenn sich beide auf das Gut spezialisieren, bei dem sie den kleineren relativen Nachteil haben, profitieren beide vom Handel.
Ricardos Theorie bildet bis heute das Fundament für die Argumentation zugunsten des Freihandels. Ergänzt wird sie durch das Heckscher-Ohlin-Modell, das zeigt, wie Länder sich auf Güter spezialisieren, die reichlich vorhandene Produktionsfaktoren – wie Kapital, Arbeit oder Boden – besonders effizient nutzen. Deutschland etwa exportiert kapitalintensive Maschinen, Brasilien arbeitsintensive Agrarprodukte.
Der Kern dieser Modelle bleibt unverändert: Handel steigert den Wohlstand, indem er Spezialisierung fördert und die Gütervielfalt erhöht. Zwar führt dies zu Verteilungseffekten, aber insgesamt wächst der Kuchen – Protektionismus hingegen macht ihn kleiner.
Komparativer Vorteil durch Handel

„Globaler Handel fördert Spezialisierung, steigert die Effizienz und schafft Wohlstand, indem er Ressourcen dort nutzt, wo sie am produktivsten sind.“
Volkswirtschaftliche Folgen hoher Zölle
Hohe Zölle oder andere Handelsbeschränkungen wirken wie Stolpersteine in den globalen und hochspezialisierten Lieferketten und haben spürbare Konsequenzen für die Realwirtschaft. Unternehmen, die auf internationale Vorprodukte angewiesen sind, sehen sich plötzlich mit steigenden Importkosten konfrontiert. Als die USA 2018 zum Schutz der heimischen Industrie Strafzölle auf Stahl einführten, mussten Autobauer wie Ford oder General Motors deutlich teureren Stahl einkaufen. Die Folge waren steigende Produktionskosten, die entweder die Margen schrumpfen liessen, die Endpreise erhöhten – oder beides.
Diese Mehrkosten werden oft zumindest teilweise an Konsumenten weitergegeben, was zu höheren Lebenshaltungskosten führt. Besonders betroffen sind Produkte, für die es kaum inländische Alternativen gibt, wie Elektronik oder spezielle Komponenten. Zölle heizen die Inflation an und schwächen die Kaufkraft. Um gegenzusteuern, greifen Notenbanken oft zu Zinserhöhungen – ein Schritt, der die Konjunktur zusätzlich belastet. Für Unternehmen bedeutet dies eine doppelte Herausforderung: einerseits höhere Kosten und andererseits den Verlust wichtiger Absatzmärkte infolge internationaler Gegenmassnahmen.
Doch die Auswirkungen enden nicht bei den Preisen. Zölle verzerren den Wettbewerb und belasten die globalen Lieferketten. In der modernen Weltwirtschaft sind Produktionsprozesse häufig grenzüberschreitend organisiert. Plötzliche Handelsbarrieren zwingen Unternehmen dazu, Liefer- und Absatzketten neu zu ordnen – ein kostspieliger und unsicherer Prozess. Diese Unsicherheit wirkt wie Sand im Getriebe der globalen Wirtschaft: Konsumenten spüren höhere Preise, Unternehmen kämpfen mit Wettbewerbsnachteilen und die Volkswirtschaft insgesamt verliert an Dynamik und Effizienz.
Historische Parallelen: Smoot-Hawley 1930 vs. Trump 2018/19
Handelskonflikte sind kein neues Phänomen und können schwerwiegende Folgen haben. Ein Beispiel ist das Smoot-Hawley-Zollgesetz von 1930. Inmitten einer ohnehin angeschlagenen Weltwirtschaft führten die USA drastische Zölle ein. Die Reaktion liess nicht lange auf sich warten: Viele Länder verhängten Gegenzölle, was zu einem Einbruch des Welthandels führte und die Weltwirtschaft tiefer in die Depression stürzte. Smoot-Hawley gilt heute als ein Lehrstück dafür, wie Protektionismus in Krisenzeiten zur Eskalation führen kann.
Springen wir ins Jahr 2018: Als Präsident Trump in mehreren Wellen Zölle auf chinesische Waren von bis zu 25% erhob, konterte China mit Gegenzöllen auf US-Produkte. Die Konsequenzen waren deutliche Schwankungen an den Finanzmärkten und vor allem eine spürbare Investitionszurückhaltung sowie ein Rückgang des globalen Wachstums.
Die historischen Parallelen sind unverkennbar, auch wenn die ökonomischen Folgen 2018/19 weit weniger dramatisch waren. Der entscheidende Unterschied: Zentralbanken wie die Fed reagierten rasch mit Zinssenkungen, um die konjunkturellen Schäden abzufedern. Obwohl das Vertrauen in die Stabilität des Welthandels kurzzeitig erschüttert wurde, blieb ein langfristiger Schaden aus. Angesichts der aktuellen Inflationsdynamik wird die Fed diesmal jedoch wohl kaum in der Lage sein, frühzeitig unterstützend einzugreifen.
Negativer Einfluss der Smoot-Hawley-Zölle auf den Welthandel

"Die Geschichte zeigt: Handelskonflikte mögen kurzfristig Schlagzeilen machen, doch langfristig prägen Kooperation und offene Märkte den Erfolg der Weltwirtschaft."
Was sagt eine Handelsbilanz wirklich aus?
Donald Trump rechtfertigte seine protektionistische Handelspolitik mit dem Verweis auf das Handelsbilanzdefizit der USA. Die Argumentation: Wer mehr importiere als exportiere, sei Verlierer im Welthandel. Aus ökonomischer Sicht greift diese Interpretation zu kurz.
Ein Handelsbilanzdefizit bedeutet zunächst nur, dass ein Land mehr Waren importiert, als es exportiert. Der Importüberschuss wird durch Kapitalzuflüsse finanziert. Im Fall der USA sind das Anlagen in Staatsanleihen, Aktien oder Immobilien. Diese Kapitalzuflüsse stärken den Dollar, was Importe verbilligt, Exporte jedoch verteuert – ein Kreislauf, der das Handelsbilanzdefizit verstärkt.
Für die meisten Länder würde ein solches Defizit durch den Wechselkurs ausgeglichen: Eine schwächere Währung macht Exporte günstiger und Importe teurer. Doch die USA, deren Dollar die Weltleitwährung darstellt, profitieren von einer stabilen Nachfrage nach ihrer Währung. Das ermöglicht es den USA, dauerhaft mehr zu konsumieren, als sie produzieren.
Trotzdem ist ein Handelsbilanzdefizit nicht per se ein Zeichen wirtschaftlicher Schwäche. Entscheidend ist, wie ein Land mit den Kapitalzuflüssen umgeht. Kritisch wird es, wenn das Vertrauen der Anleger schwindet oder Kapital ineffizient eingesetzt wird.
Trumps aktuelle Zollstrategie: Schäden trotz Aufschub
Dennoch setzt Donald Trump in seiner Handelspolitik auf Zölle als strategisches Druckmittel. Bereits Ankündigungen lösen erhebliche
wirtschaftliche Unruhe aus. Nicht die Zölle selbst, sondern die politische Unberechenbarkeit ist der eigentliche Unsicherheitsfaktor. Unternehmen reagieren empfindlich auf abrupte Kurswechsel. Selbst nachträgliche Entschärfungen wie die 90-Tage-Pause hinterlassen langfristige Spuren. Der Schaden reicht über die Landesgrenzen hinaus.
Das Vertrauen in die USA als verlässlichen Partner bröckelt. In exportorientierten Volkswirtschaften wie der Schweiz reicht schon die Erwartung neuer Zölle aus, um Investitionen auf Eis zu legen und das Wachstum auszubremsen. Dabei entsteht ein grosser Teil des Schadens psychologisch, durch die Angst vor dem Ungewissen. Unternehmen und Konsumenten werden vorsichtiger, verschieben Projekte und reduzieren Ausgaben. Es ist wie bei einer heraufziehenden Gewitterwolke: Bevor der erste Tropfen fällt, leeren sich die Strände und die Boote bleiben im Hafen. So wirkt Trumps Zollpolitik auf die Weltwirtschaft.
Während Trump angetreten ist, um die heimische Industrie wieder stark zu machen und vor allem Jobs zu schaffen, trifft seine erratische Zoll- und Handelspolitik die USA auch selbst. Betroffen sind besonders stark importabhängige Branchen wie Elektronik und Maschinenbau oder auch der Grosshandel. Höhere Kosten, operative Anpassungsprobleme und sinkende Wettbewerbsfähigkeit prägen das Bild. Auch der Auf- und Ausbau von ausländischen Firmen in den USA, um Jobs zu schaffen, scheint nicht von Erfolg gekrönt. So leidet LVMH unter den Folgen einer im Jahr 2019 auf Trumps Druck eröffneten Manufaktur. Hauptursachen sind Fachkräftemangel, Qualitätsprobleme sowie hohe Ausschussraten und damit insgesamt steigende Kosten. Zudem sind die erhofften Zollvorteile nicht eingetreten. Der französische Luxusgüterhersteller ist nur eines von vielen Beispielen.
Entwicklung S&P 500 im Kontext von Trumps Ankündigungen

Was bedeutet dies für Anleger?
Für Anleger stellt das volatile geopolitische Umfeld eine echte Herausforderung dar. Handelskonflikte sorgen für Kursschwankungen, Unsicherheit über Unternehmensgewinne und führen damit zu erhöhter Marktvolatilität.
In solch turbulenten Zeiten bewährt sich ein klarer Fokus auf Qualität. Unternehmen mit robusten Geschäftsmodellen, stabilen Cashflows und soliden Bilanzen erweisen sich als zuverlässige Pfeiler in stürmischen Marktphasen. Denn es gibt sie, Unternehmen, die auch in diesem herausfordernden Umfeld eine hohe positive Performance zeigen. Statt impulsiv auf Schwankungen zu reagieren, lohnt es sich, an bewährten Qualitätsaktien festzuhalten, um die unvermeidliche Erholung nach Korrekturen voll mitzunehmen.
Ein Umfeld politischer Unsicherheiten, wie es Trumps Zollpolitik geschaffen hat, verlangt nach einer klaren Strategie mit dem Fokus auf Stabilität und Weitblick. Eine auf Qualität und Diversifikation ausgerichtete Anlagestrategie minimiert Risiken und eröffnet gleichzeitig Chancen. Mit einem solchen Ansatz können Anleger ruhig und optimistisch bleiben – selbst in unruhigen Zeiten.
Alessandro Sgro, Chief Investment Officer