Jahresendrally und andere Börsenanomalien

Januareffekt, Sell in May and go away, Präsidentschaftseffekt oder aktuell die Jahresendrally: Immer wieder sind an den Finanzmärkten spezielle und vielfach wiederkehrende Muster zu erkennen. Was steckt dahinter und welche Rolle spielen sie für die Anleger?

 

Kommt sie, kommt sie nicht oder stecken wir bereits mittendrin? Aktuell dreht sich an den Finanzmärkten saisonbedingt wieder vieles um die Jahresendrally – ein bekanntes, wiederkehrendes Muster. Mit der Jahresendrally ist gemeint, dass an den Finanzmärkten die Aktienkurse gegen das Jahresende nochmals überdurchschnittlich zulegen. Ursprünglich waren damit nur die letzten fünf Handelstage im Jahr und damit ein enger Zeitraum gemeint. In den USA ist sie deshalb immer noch als «Santa-Claus-Rally» bekannt. Doch kein sozioökonomisches Gebilde – wie es die Finanzmärkte offensichtlich sind – versteht es besser, aus wiederkehrenden Mustern eine grössere Geschichte zu machen und schürt damit viele und hohe Erwartungen einer breiten Anlegergemeinde. Heute stellen sich viele Anleger bereits im November die Frage, ob das Anlagejahr nun mit einer erfreulichen Jahresendrally und damit mit einem starken Kursanstieg endet.

Der Start in den November war erfreulich. Nach markanten Kurseinbrüchen im Oktober legten weltweit wichtige Börsenindizes wieder eindrücklich zu – und dies ohne nennenswerte ökonomische oder geopolitische Veränderungen am Gesamtbild. Bei einigen Indizes ist sogar das Allzeithoch nicht mehr weit entfernt. Die Voraussetzungen für ein erfreuliches Jahresendrally sind aktuell gut. Doch das kann sich schnell ändern. Wie schnell die Stimmung drehen und sich die Kurse in die eine oder andere Richtung bewegen können, zeigte sich gerade in diesem Anlagejahr sehr eindrücklich. Ob Zins- und Konjunktursorgen, die globale Schuldensituation, speziell jene in den USA, der Untergang der Credit Suisse oder geopolitische Konflikte: Die Kurstreiber waren in diesem Jahr vielfältig und herausfordernd. Da ist die erfreuliche Performance-Entwicklung im aktuellen Jahr nach den historischen Kurseinbrüchen während der Zinswende im vergangenen Jahr Balsam auf die Wunden der Anleger.

 

Dezember ist statistisch einer der besten Börsenmonate

Durchschnittliche Monatsperformance des amerikanischen Aktienindex S&P 500 seit 1928

 

In der historischen Perspektive gehören die Monate November und Dezember zu den besten Börsenmonaten. Doch allein auf Basis dieser Erkenntnis darauf zu setzen, dass jedes Jahr eine starke Performance resultiert, ist fahrlässig. Denn gerade im letzten Jahr erfolgte im Dezember an den wichtigsten Börsen nochmals ein starker Kurseinbruch. Wenn man die durchschnittlichen Monatsperformances über einen längeren Zeitraum betrachtet, schwankten diese erheblich. Letztlich sind es viele verschiedene Faktoren, welche für die Kursentwicklungen im jeweiligen Jahr relevant sind. Und diese Faktoren können sich rasch immer wieder ändern.

 

Investieren und nicht spekulieren

Menschliche Verhaltensmuster bestimmen Zyklen und Börsenphasen und sind stark von Erwartungen und Emotionen getrieben. Das führt mitunter immer wieder zu Übertreibungen, die sich in teils sehr extremen Kursverläufen gegen unten und oben widerspiegeln. Das macht Prognosen schwierig bis unmöglich und bedingt auf wenige, aber klare Anlagegrundsätze zu vertrauen. Der Versuch mit Timing, auf kurzfristige Trends, Moden und Geschichten zu setzen, ist wenig hilfreich. Wissenschaftliche Erkenntnisse sowie langjährige Praxiserfahrungen zeigen dies eindeutig. Die Wahrscheinlichkeit, die besten Tage an der Börse zu verpassen, ist bei Timing-Versuchen hoch und kostet nur unnötigerweise Performance.

Die menschliche Psyche spielt eine wesentliche Rolle in den Einschätzungen zur künftigen Entwicklung und dabei vor allem auch Einflüsse aus dem sozialen Umfeld bis hin zur Natur, die die menschlichen Wahrnehmungen prägen und zu Fehleinschätzungen führen. Der Fokus der Anleger sollte entsprechend weniger auf Geschichten und möglichen Muster gelegt werden, sondern vielmehr darauf, mit einem langfristigen Horizont investiert zu sein. Entscheidender als die Frage einer Jahresendrally ist vielmehr die Überlegung, in welche Anlageklassen und innerhalb dieser Anlageklassen in welche Titel investiert werden soll. Die Abstimmung des persönlichen Risikoprofils mit dieser Grund-Allokation (Anlagestrategie) erfordert Zeit und vertieftes Expertenwissen, bildet aber die Basis für den langfristigen Anlageerfolg.

 

Alessandro Sgro, Chief Investment Officer

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