Einschätzung zum Wirtschaftsjahr 2024

Wie entwickelt sich das Wirtschaftsjahr 2024 und was bedeutet das für die Ostschweizer Wirtschaft? In der Samstagsausgabe des St.Galler Tagblatts gab Chief Investment Officer Alessandro Sgro eine Einschätzung.

 

Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Lage in der Ostschweiz über die nächsten 12 Monate ein?

Die Ostschweizer Exportunternehmen spüren die konjunkturelle Abkühlung, insbesondere aus Deutschland. Die Ostschweizer Wirtschaft wird massgeblich von der MEM-Industrie geprägt, die den überwiegenden Teil ihrer Produktion nach Europa exportiert. Neben Deutschland zeigt mit China ein weiterer, wichtiger Handelspartner weiterhin konjunkturelle Schwächen. Die Nachfrage aus dem Ausland dürfte aufgrund der makroökonomischen Gesamtsituation in den nächsten 12 Monaten unter dem langfristigen Durchschnitt liegen.

Branchen, die vorwiegend im schweizerischen Binnenmarkt agieren, sind weniger direkt betroffen, da sie weiterhin auf eine stabile Nachfrage stossen.

Insgesamt sind die Aussichten weder besonders gut noch schlecht. Es findet sich nach wie vor eine Mehrheit unter den Unternehmen, welche von guten Geschäftsgängen berichten. Ob dies auch in den nächsten 12 Monaten so bleibt, hängt insbesondere davon ab, wie sich die Inflation entwickelt und wie die Notenbanken mit ihren geldpolitischen Mitteln darauf reagieren werden.

 

Wie sehen Sie die Aussichten auf den Finanzmärkten, und was bedeuten diese Signale für die Ostschweiz?

Im vergangenen Jahr resultierte trotz weiterer geldpolitischer Straffung bei nahezu allen wichtigen Anlageklassen eine sehr erfreuliche Performance. Sie kam vorwiegend in den letzten Handelswochen des Jahres zustande. Getrieben wurde die Entwicklung vom Narrativ, dass bei wichtigen Notenbanken wie der FED, EZB und SNB zeitnah Zinssenkungen folgen würden. Die Einschätzung der Finanzmärkte und jene der Notenbanken gehen aktuell deutlich auseinander. Zwar deuteten speziell die Mitglieder der US-Notenbank an, dass Zinssenkungen möglich sind. Aktuell besteht allerdings kein unmittelbarer Grund, die Zinsen rasch zu senken. Das makroökonomische Umfeld in den USA und auch in der Schweiz sprechen eher gegen die Notwendigkeit von Zinssenkungen. Die Konjunktur ist nach wie vor intakt. In den USA liegt die Inflation noch deutlich über dem Zielwert. Aufgrund dieser unterschiedlichen Einschätzung rechnen wir auch in diesem Jahr mit sehr schwankungsanfälligen Märkten. Im Euroraum ist eine Zinssenkung wahrscheinlicher, aber auch nicht sicher. Klar ist, dass eine Zinssenkung von Seiten der EZB den Schweizer Franken weiter stärken würde, was die Ostschweizer Unternehmen spüren würden.

 

Was bedeutet der rekordstarke Franken für die Ostschweizer Wirtschaft?

Der starke Schweizer Franken ist kein neues Phänomen und eine stetige Rosskur für die Ostschweizer Wirtschaft. Er ist ein ständiger Treiber für Effizienzsteigerungen und Innovation. Die Ostschweizer Unternehmen stehen in einem harten, internationalen Wettbewerb. Für die Ostschweizer Wirtschaft ist insbesondere der Euro/Franken Wechselkurs von Bedeutung. Im vergangenen Jahr hat der Euro gegenüber dem Franken um rund 5.1% abgewertet. Der Dollar hat gegenüber dem Schweizer Franken im gleichen Zeitraum sogar um rund 9.6% abgewertet.

Die Frage, die sich für die Ostschweizer Wirtschaft stellt, ist, ob aufgrund der Aufwertung der eigenen Währung die Güter und Dienstleistung im Ausland tatsächlich (relativ gesehen) teurer geworden sind. Denn in dem Zeitraum, in welchem der Schweizer Franken stark aufgewertet hat, lag die Inflation im handelsrelevanten Ausland stets höher als in der Schweiz. Real sind Schweizer Exportgüter nicht in dem Masse teurer geworden, wie dies der nominale Wechselkurs suggerieren würde. Der reale handelsgewichtete Wechselkurs ist 2023 bis in den August gestiegen, weist seither allerdings wieder einen negativen Trend auf und befand sich zuletzt wieder auf dem langjährigen Durchschnitt. Obwohl der Schweizer Franken nominal zwar aufgewertet hat, sind Schweizer Exportgüter im Ausland dadurch nicht teurer geworden.

 

Wer (z.B. Branche) gewinnt, wer profitiert?

Die Nachfrage nach Schweizer Exportgütern ist nicht nur durch dessen Preis im Ausland getrieben. Selbst wenn Exportgüter real nicht teurer geworden sind, ist deren Absatz nach wie vor abhängig von der dortigen Nachfrage. Besonders Unternehmen, welche in engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland oder China stehen, sind von einer schwächeren Dynamik betroffen. In der Schweiz ist insbesondere die chemisch-pharmazeutische Industrie und die Uhren-Industrie, welche mit 69,4 bzw. 21.3 Milliarden Franken die höchsten Nettoexporte aufweisen, betroffen. Auf der anderen Seite gibt es auch Unternehmen, welche von konjunkturellem Abschwung im Ausland profitieren. Dabei handelt es sich um Unternehmen, welche mehrheitlich importieren und damit von tieferen Preisen profitieren können. Das sind in der Schweiz in erster Linie Händler von Fahrzeugen oder Energie.

Das Thema Energie wird in den nächsten 12 Monaten wieder eine wichtige Rolle spielen. Für Konsumenten sind die Energiepreise im letzten Jahr um rund 3.2% gestiegen. Für Produzenten sind die Energiepreise im gleichen Zeitraum sogar um 12.7% gestiegen. Setzt sich dies in den kommenden 12 Monaten so fort, profitieren insbesondere diejenigen Branchen, welche mit geringem Energieaufwand produzieren können. Die höheren Energiekosten dürfte sich auf der anderen Seite in der Industrie und im Baugewerbe negativ auswirken.

 

Zuletzt: Die Inflation scheint in der Schweiz auf den ersten Blick gebändigt. Allerdings bestehen vielfältige Preistreiber, welche die Teuerung wieder erhöhen könnte. Die geldpolitische Straffung ist aus unserer Sicht noch nicht durch. Die Zinsen dürften wohl länger höher bleiben als gewünscht. Doch letztlich sind wir heute auf einem Zinsniveau, das historisch gesehen immer noch tief ist.

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