Berg- oder Talfahrt?

Zins- und Konjunktursorgen belasteten die Finanzmärkte in den vergangenen Wochen stark. Das zeigte sich in den Kursentwicklungen deutlich. Die Mehrheit der wichtigsten Anlageklassen tendierte im abgelaufenen Quartal seitwärts oder gar negativ. Die Verunsicherung über die künftige Geldpolitik ist gross. Doch ist diese Angst vor einer längeren Phase der geldpolitischen Straffung berechtigt? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Zinserhöhungszyklen bedeuten nicht per se eine negative Performance. Doch nicht jeder Zyklus ist gleich. Worauf ist aktuell zu achten?

 

«Es gibt eindeutig noch einige verbleibende Unterschiede zwischen dem, was die Finanzmärkte sehen, und der Kommunikation der Notenbanken», sagte BIZ-Chefökonom Claudio Borio anlässlich der Veröffentlichung des jüngsten Quartalsberichts der Bank for International Settlements (BIS) Ende September. Diese Aussage lässt aufhorchen, auch wenn sie an den meisten Anlegerinnen und Anlegern eher emotionslos oder unbeachtet vorbeiging. Insgesamt sind diese ohnehin zurückhaltend. Das betrifft vor allem das abgelaufene Quartal. Im dritten Quartal entwickelten sich die Märkte seitwärts oder gar negativ. Eine negative Quartalsbilanz weisen unter anderem Aktien aus allen wichtigen Regionen, globale Obligationen sowie Immobilien Schweiz auf. Gold und alternative Anlagen legten leicht zu. Beim Rohstoff Öl resultierte im dritten Quartal eine Performance von über 4%. Sie kam nicht aufgrund einer erhöhten Nachfrage zustande, sondern wegen bewussten Angebotseinschränkungen der Opec-Staaten. Über das gesamte Anlagejahr hinweg ist Öl deutlich im Minus.

Während im ersten Semester die Aktienhausse durch wenige Titel und vor allem durch (kurzfristig übertriebene) Erwartungen an die künstliche Intelligenz bei Technologieaktien getrieben wurde, fand jüngst innerhalb der Aktien eine Verschiebung statt. So verloren Technologietitel an Wert, wohingegen Energieunternehmen zulegten. Unverändert ist die tiefe Marktbreite.

Über das gesamte Anlagejahr lässt sich die Performance der meisten Anlageklassen durchaus sehen und sie liegt teilweise über den langjährigen Durchschnitten. Sie kam aber eben hauptsächlich im ersten Halbjahr zustande. Die Kurseinbrüche aus dem vergangenen Jahr sind damit noch nicht aufgeholt. Das gilt insbesondere auch für Schweizer Aktien.

Die Verunsicherung über die künftige Geldpolitik ist gross. Verglichen mit anderen Krisen ist die Erholung nach den letztjährigen starken Kurseinbrüchen eher zaghaft. Der vehemente Eingriff der Notenbanken, um die Inflation zu bekämpfen, der notabene zu spät kam, war für die Finanzmärkte heftig: Am deutlichsten erkennbar ist dies in den USA. Die US-Notenbank Fed erhöhte ihren Leitzins innerhalb von 1,5 Jahren nun insgesamt elfmal – von 0.25% auf 5.5%. Das ist die stärkste geldpolitische Straffung seit den 1970er-Jahren. An den Finanzmärkten herrscht deshalb die Meinung – vielleicht auch eher die Hoffnung –, dass der Zinsgipfel nun erreicht sei und der nächste Schritt eine Zinssenkung sein müsse. Die Verantwortlichen der Notenbanken sehen dies aus unserer Sicht zu Recht (noch) anders. Doch wo stehen wir in diesem Straffungsprozess und welche Entwicklungsszenarien sind möglich?

 

Verschiedene Anlageklassen tendierten zuletzt seitwärts oder negativ (Performance in Schweizer Franken):

  

 

Schwieriger Teil beginnt erst jetzt

Der Zinsgipfel ist wohl in Sichtnähe, doch noch nicht ganz erreicht. Die Geschichte lehrt uns, dass nun der schwierige Teil kommt – ähnlich einer längeren Bergwanderung: Man sieht den Gipfel, doch beim Passieren der nächsten Ecke erkennt man, dass der Weg weiter ist als gedacht. Gerade wenn das System bereits unter Stress ist, ist das mental schwieriger zu verarbeiten. Dennoch ist Panik nicht angebracht. Das Zugpferd US-Wirtschaft zeigt sich insgesamt erstaunlich robust und widerstandsfähig. Während Anfang Jahr aufgrund des starken Zinsanstiegs in den USA noch eine Rezession befürchtet wurde, sieht es aktuell nach einem Soft- oder gar No-Landing aus. Das heisst: eine Abkühlung der Wirtschaft, ohne in eine Rezession zu geraten. Mit GDPNow – einer Dienstleistung der Fed von Atlanta – wird mit Hilfe von früh verfügbaren Daten die aktuelle Wirtschaftsentwicklung in Echtzeit gemessen. Das Modell, das sich in der Vergangenheit als ein guter Indikator herausstellte, zeigt für das dritte Quartal ein Wachstum der US-Wirtschaft von 4.9% an. Der für die US-Wirtschaft wichtige Konsum wurde durch fiskalpolitische Massnahmen und Corona-Ersparnisse unterstützt. So wurde trotz Teuerung kräftig weiterkonsumiert. Auf Unternehmensseite ist der Refinanzierungsbedarf (noch) nicht da. Die Unternehmen konnten sich zu niedrigen Zinsen längerfristig refinanzieren. Das betrifft im S&P 500 etwa die Hälfte der Unternehmen. Doch irgendwann werden sich die stark erhöhten Zinsen in der US-Wirtschaft spürbar zeigen. Die Fed geht in ihrem Basisszenario immer noch von einem Soft-Landing aus. Aktuell sieht es danach aus, dass ihr dieses Vorhaben gelingen könnte. Die Kerninflation ist zwar immer noch zu hoch, weshalb die Mehrheit der Fed-Vertreter in diesem Jahr nochmals von einem Zinsanstieg von 25 Basispunkten ausgeht. Die Kerninflation sinkt aber. Zudem kühlt sich der US-Arbeitsmarkt wie gewollt langsam ab.

 

«Higher for longer»

Sehnlichst erwarten die Märkte die erste Zinssenkung. Doch das dürfte aufgrund der aktuell robusten wirtschaftlichen Verfassung noch eine Weile dauern. Denn die Gesamtinflation zeigt aufgrund der Bereiche Wohnen und Energie wieder nach oben. Die Prognosen der Währungshüter in den USA deuten darauf hin, dass die US-Zinsen mittelfristig höher bleiben könnten als bisher angenommen. Was bedeutet das für die Entwicklung der verschiedenen Anlageklassen? Würde eine Zinspause oder gar eine Zinssenkung Entspannung bringen?

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Bei allen wichtigen Anlageklassen resultierte über einen gesamten Zinserhöhungszyklus der Fed seit 1980 eine positive durchschnittliche Jahresperformance. Eine Ausnahme stellen US-Staatsobligationen dar. Spannenderweise schneiden Risikoklassen wie Aktien oder Rohstoffe sehr gut ab. Im Betrachtungszeitraum gab es insgesamt acht Zinserhöhungszyklen von unterschiedlicher Länge und Ausprägung.

Seit 1980 entwickelten sich alle wichtigen Anlageklassen über den gesamten Zinserhöhungszyklus im Durchschnitt positiv

  

Während einer Zinspause resultierte bei Aktien, Rohstoffen, Gold und Staatsobligationen eine positive Performance, wobei Aktien mit Abstand die stärkste Entwicklung aufwiesen. Während eines Zinssenkungszyklus sehen die Ergebnisse deutlich anders aus. Hier schneiden Obligationen erwartungsgemäss am besten ab. Bei Aktien resultiert zwar eine positive Performance, allerdings fällt sie deutlich geringer aus als während Erhöhungszyklen oder Zinspausen. Auch das ist nachvollziehbar, setzen Zinssenkungszyklen doch meist ein, um einen wirtschaftlichen Abschwung oder eine Rezession zu verhindern. Eine solche konnte in der Vergangenheit selten verhindert werden, weil Zinssenkungszyklen meist zu spät begannen. Aktienkurse nehmen einen wirtschaftlichen Abschwung in der Regel voraus, weshalb die Performance in Phasen der Zinssenkung tiefer ausfällt. Eine negative Performance fuhren Anlagen bei Rohstoffen ein.

Im aktuellen Zinserhöhungszyklus liegen zurzeit alle wichtigen Anlageklassen zum Teil noch deutlich im Minus. Die hohen Unsicherheiten über den weiteren Verlauf der Geldpolitik lassen keine Marktbreite und keine starke Dynamik entstehen.

Die Angst vor weiter steigenden Zinsen oder noch nicht einsetzenden Zinssenkungen ist aufgrund historischer Muster unbegründet. Natürlich ist jeder Zyklus wieder anders. Gerade wenn ein Jahrzehnt mit Null- oder Negativzinsen hinter einem liegt. Doch ein höheres Zinsniveau muss kein schlechtes Vorzeichen sein für die Kapitalanlage. Es kann auch ein Zeichen für ein robustes Wirtschaftswachstum sein, das bei allen Anlageklassen eine starke Performance ermöglicht. Je stabiler das makroökonomische Umfeld, desto besser entwickelten sich die verschiedenen Anlageklassen.

 

Das Verständnis für die mögliche Entwicklung der verschiedenen Anlageklassen in unterschiedlichen Zyklen der Geldpolitik ist das eine. Das andere ist, was die ursächlichen Treiber der geldpolitischen Massnahmen sind. Damit wären wir wieder bei der Inflation und der Frage, wie die verschiedenen Anlageklassen in unterschiedlichen Inflationsphasen reagieren. Hier gilt es vor allem die Höhe der Inflationsraten sowie deren Richtung zu beachten, also ob sie fallend oder steigend sind. In der Vergangenheit haben Aktien und Obligationen in einer Phase hoher, aber sinkender Inflation gut abgeschnitten. Gold ist eher gefragt in Zeiten steigender Zinsen. Weil das Edelmetall keine Ausschüttungen hat, gewannen Obligationen aufgrund der Zinserhöhungen jeweils an relativer Attraktivität. Rohstoffe zeigten in der Vergangenheit bei hoher und fallender Inflation eine negative Performance.

Doch am Schluss stellt sich für den langfristigen Anlageerfolg nicht nur die Frage, welche Anlageklassen in Inflationsphasen besser performen, sondern mit welcher Kombination sie in der Lage sind, die Kaufkraft zu erhalten und die finanziellen Ziele zu erreichen. Die Schlüsselfrage lautet also: Wie diversifiziere ich mein Portfolio im Rahmen meiner Risikofähigkeit am optimalsten, damit mein Vermögen erhalten und weiter aufgebaut werden kann?

Aktien und Obligationen performen bei Inflation über 4%, aber fallendem Trend am besten

  

Keine Zeit für grosse Wetten

Die Zinsen sind im jüngeren historischen Kontext stark gestiegen. Nicht alle Unternehmen kommen mit diesem Umfeld gleich gut klar. Das zeigt sich auch an den zum Teil sehr unterschiedlichen Kursentwicklungen in diesem Jahr. In einem Umfeld erhöhter Inflation liegt der Fokus auf Unternehmen, die sich durch eine stabile und gute Margenentwicklung auszeichnen, solide finanziert sind und über eine hohe Innovationskraft verfügen. Das sind die Grundvoraussetzungen für eine starke Marktstellung, die sich in einer hohen Preissetzungsmacht widerspiegelt und die Herausforderung Inflation besser bewältigen lässt. Wenige Unternehmen zeichnen sich durch einen nachhaltigen komparativen Wettbewerbsvorteil aus und sind in der Lage, mit der Inflation besser umzugehen. Doch es gibt sie.

Für aktive Anleger bietet dies attraktive Anlagechancen. Es ist aufgrund der hohen Unsicherheiten über die künftige Entwicklung sicher nicht die Zeit, grosse Wetten einzugehen. Doch es ist definitiv ein Umfeld für aktives und selektives «Stock Picking». Es gilt, das brachliegende Potenzial systematisch zu nutzen. Die Cronberg-Anlagemethodik zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Veränderungen in Märkten rasch erfasst und Unternehmen signalisiert werden, die entweder an Momentum verlieren oder ein solches aufbauen. So gelingt es, diese Veränderungen zeitnah in der Titelselektion zu berücksichtigen. Mit dem Wissen und der Erfahrung, wie sich Anlageklassen in den unterschiedlichen Inflationsphasen entwickeln, ist es möglich, eine überdurchschnittliche Performance zu erzielen.

Anlegen in Zeiten einer geldpolitischen Straffung erfordert ein hohes Mass an Fachwissen und Geduld sowie das Einhalten einfacher, aber pragmatischer Anlagegrundsätze. So herausfordernd und nervenaufreibend sich das aktuelle Anlageumfeld auch zeigt, es bietet aktiven Investoren doch zahlreiche attraktive Investitionsmöglichkeiten. Klar ist aber: Der Abstieg – also die Bekämpfung der Inflation – ist oft schwieriger als der Aufstieg. Während in einem Aufstieg die Kräfte noch vollständig vorhanden sind, ist bei einem Abstieg mehr Vorsicht geboten.

 

Alessandro Sgro, Chief Investment Officer

 

 

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